Im Zeichen der Rinder, Vögel und Katzen Zu den Holzschnitten von Abi Shek Schwarze Tiersilhouetten setzt Abi Shek auf großen weißen Leinwänden in zum Teil monumentalen Formaten an die Wände des Raums und erfüllt ihn rundum mit geheimnisvollem Leben: Vögel, Katzen und immer wieder Rinder. Diese Tiere sind – so paradox es scheint – gerade durch die Reduktion auf ihre Schattenbilder in besonderer Weise präsent. Nicht die äußere Erscheinung, die uns allen vertraut ist, wird hier wachgerufen, sondern ein Augenblick intensiver Anwesenheit im Raum.
Und dieser Raum ist – auf der Fläche der weiß grundierten Leinwand – zweidimensional, genauso wie das schwarze Schattenbild. Schwarz und Weiß sind die Koordinaten dieser Bilder. Darin entfaltet sich das ganze Leben zwischen Leere und intensiver Anwesenheit im Raum. In Rehovot in Israel 1965 geboren, wuchs Abi Shek im Kibbuz Beit Nir in einer ländlichen und zugleich künstlerischen Umgebung auf. Die Kommune lebt vor allem von Landwirtschaft, Viehhaltung und Schmuckherstellung. In diesem Spannungsfeld sammelte Abi Shek, Sohn eines Bildhauers und einer Goldschmiedin, seine ersten Erfahrungen, nicht selten als Traktorist oder zu Pferd als Viehtreiber. In seinen Skulpturen aus verzinktem Blech klingen oft Erinnerungen an landwirtschaftliches Werkzeug nach.
Abi Shek wollte Kunst studieren – diesen Entschluss fasste er bereits in Israel. Dabei hatte es ihm der Holzschnitt besonders angetan. Im Werk des 1933 aus Deutschland nach Israel immigrierten Künstlers Rudi Lehmann, dem Lehrer seines Vaters Moshe Shek, war Abi Shek dem ursprünglichen Reiz dieser Technik begegnet, wie sie durch Paul Gauguin, Edvard Munch und deutsche Expressionisten wie die Brücke-Künstler für das 20. Jahrhundert neu entdeckt wurde. – Wohin sollte Abi Shek gehen zum Studium? Nach Japan mit seiner alten und (auch für Europa) so bedeutenden Holzschnitt-Tradition? Oder nach Deutschland? Es war gerade die Holzschnitt-Tradition, die Abi Shek nach Deutschland zog, in jenes Land, in dem vor über 500 Jahren durch Meister wie Albrecht Dürer die bedeutendste Holzschnitt-Tradition Europas entstand. Außerdem hatte er als Junge einmal ein kleines Heft geschenkt bekommen mit Reproduktionen von Holzschnitten, die ihn in ihrer ursprünglichen Klarheit und Kraft faszinierten. Es war ein Reprint des berühmten Brücke-Katalogs von 1910, in dem Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff gegenseitig ihre Gemälde im Holzschnitt wiedergegeben hatten. Die primitivistische Holzschnitt-Kunst der „Brücke“-Künstler hatte in Deutschland einen wichtigen Grundstock für die Entstehung einer modernen Formensprache gelegt. Diese bildnerische Leistung der deutschen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts wurde nach den Schrecken des Dritten Reichs und dem Desaster nationalsozialistischer Kunstpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg als Zeuge für die Existenz eines anderen Deutschland wiederentdeckt. 1938 von den Nazis noch als ‚entartet‘ gebrandmarkt, bot die Kunst der ‚Brücke‘ nach 1945 einen ersten Anknüpfungspunkt auf der Suche nach einer eigenen modernen Identität im Nachkriegs-Deutschland.
Als Abi Shek 2011 im Vorfeld einer Ausstellung die Galerie Albstadt besuchte, begegnete er hier im Depot der Graphischen Sammlung zum ersten Mal den Originalen des kostbaren Brücke-Katalogs von 1910, den er bisher nur als Reprint kannte: nicht mehr als postkartengroße Holzschnitte von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein. Diese jungen, gegen die festgefahrenen Kräfte der Akademien revoltierenden Künstler der Künstlergemeinschaft „Brücke“ setzten vor gut 100 Jahren die Holzschnitt-Technik fast programmatisch für den künstlerischen Aufbruch zu neuen Ufern ein. Kirchners „Rudernde Samoanerin“ zum Beispiel, eigentlich ‚nur‘ eine Vignette in dem selbstgemachten Ausstellungskatalog der jungen Brücke-Künstler, hat eine Intensität des Ausdrucks und innere Größe, mit der sie es ohne weiteres mit Abi Sheks riesigen Tier-Holzschnitten aufnehmen kann. Mit großer Ehrfurcht hielt Abi Shek diese Originale in den Händen, deren Abbildungen ihn vor über 20 Jahren als jungen Israeli zum Studium in Deutschland bewegt hatten.
Abi Shek spielt auf sehr persönliche Weise mit unterschiedlichsten Traditionen. Mit der Ausdruckskraft des Holzschnitts der jungen Avantgarde vor 100 Jahren verbindet er das eigene Erleben der Rinderherden in seiner Heimat Israel, aber auch die Kulturen des Nahen Ostens wie Ägypten mit seinen hieroglyphischen Zeichen – all dies mischt sich mit der Begeisterung für die reduzierte Zeichenhaftigkeit etwa der Eiszeit-Malerei, künstlerischen Äußerungen von Menschen, die vor zigtausenden von Jahren etwas formuliert haben und uns durch ihre Malerei bis heute begegnen. Archaische Zeichen von Tieren, silhouettenhaft in die Fläche gebannt, notiert Abi Shek zunächst in kleinen spontanen Pinselzeichnungen im Din A 4-Format. Diese Pinselzeichnungen werden später – zunächst oft ebenfalls als Pinselzeichnung – ins große Format übersetzt.
In seinen großen Holzschnitten gewinnen die Tiere abermals neues Leben auf der Fläche der Leinwand, verdichtet zu ferngerückten Zeichen, die in neue Räume führen. Bewusst verzichtet Abi Shek auf das Papier mit seiner haptischen Anmutung. Er wählt als Bildträger für seine Holzschnitte weiß grundierte Leinwand, die die Konzentration auf die großen dunklen Tierzeichen noch unterstützt. So entstehen Bild-Räume, erfüllt von intensivem Leben: Schatten, im Holz gebannt, aus Urzeiten hineinprojiziert in unsere Gegenwart. Dabei ringt Abi Shek oft mit dem Format. Ob rechteckig oder quadratisch, ist dabei oft ein großer Unterschied für die Wirkung des Bildraums.
In der Umgebung des Kibbuz, in dem Abi Shek in Israel aufwuchs, gibt es eine Menge uralter Höhlen, die Abi Shek als Junge wie kein anderer kannte und mit der Taschenlampe erkundete. Abi Sheks Tierbilder sind verwandt mit den uralten, archaischen Bildern, die man in den Höhlen bei Beit Nir ebenso wie in Lascaux oder auf der Schwäbischen Alb gefunden hat. Eigentlich sind diese Bilder zeitlos – Urbilder, die wir in uns tragen, wie Abi Shek sagt. Ebenso findet sich diese ursprüngliche Formensprache in Zeichnungen von dreijährigen Kindern, egal aus welchem Kulturkreis. So zielt Abi Shek mit seinen Tierbildern eigentlich auf das Menschliche.
Er erzählt in seinen Bildern Geschichten, die genauso wenig wie die Fabeln des Aesop nur von der Welt der Tiere handeln. Auch zwischen den einzelnen Bildern passiert allerhand und mit jeder Neuhängung entstehen neue Geschichten zwischen den Bildern: lustige, bedrohliche, dramatische, schalkhafte, hochgestelzte, dynamische und nachdenkliche, Momente der Begegnung und der Einsamkeit. So viel Tierbeobachtung in diesen Bildern steckt, so ist dies doch nicht ihre Essenz. Diese Bilder sind in ihrer zeichenhaften Verdichtung Ausdruck menschlichen Geistes – gerade durch die Reduktion auf das Schattenbild, die das Naturbild zum Zeichen macht.
Veronika Mertens © Dr. Veronika Mertens, Albstadt 2012